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Titel
Tropenliebe. Schweizer Naturforscher und niederländischer Imperialismus in Südostasien um 1900


Autor(en)
Schär, Bernhard C.
Erschienen
Frankfurt am Main 2015: Campus Verlag
Anzahl Seiten
374 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Lukas Meier, Geschichte, Universität Basel

Weshalb besitzt das Museum der Kulturen in Basel eine der grössten ethnologischen Sammlungen Europas? Wie konnte die Schweiz zu einem europäischen Zentrum der «Rassenforschung» aufsteigen? Und was hat der Schweizer Nationalpark eigentlich mit den niederländischen Kolonialbesitzungen in Südostasien zu tun? Der am Zentrum Geschichte des Wissens der Universität und der ETH Zürich lehrende Historiker Bernhard C. Schär begibt sich in seinem Buch Tropenliebe. Schweizer Naturforscher und niederländischer Imperialismus in Südostasien um 1900 auf eine faszinierende Spurensuche in die Archive in Den Haag, Jakarta und Basel. Im Zentrum seines Interesses stehen die Vettern Paul und Fritz Sarasin, die Ende des 19. Jahrhunderts auszogen, um die beiden Inseln Ceylon (heute Sri Lanka) und Celebes (heute Sulawesi/Indonesien) zu erforschen.

Dabei hätten es die Fabrikantensöhne auch gemütlich angehen lassen können, denn sie gehörten zur Machtelite Basels, die das ökonomische und politische Leben in der Stadt kontrollierte. Doch ihre Brüder besetzten bereits wichtige politische Ämter und so fanden die beiden Vettern in der Wissenschaft ein anderes Tätigkeitsfeld, das den gesellschaftlichen Konventionen für Sprösslinge ihres Standes entsprach. Dies traf jedoch weniger auf ihre Gefühle füreinander zu. Am Anfang ihrer Unternehmungen stand deshalb beides: Die Liebe für die Tropen, sowie eine Liebe in den Tropen, wo die beiden Vettern ihre «dissidente Männlichkeit» (S. 47) leben konnten.

1883 reisten die Sarasins nach Ceylon. Sie suchten nach Antworten auf brennende Fragen der Wissenschaft ihrer Zeit, zum Beispiel, ob die Wedda, die «Ureinwohner» Sri Lankas, das Bindeglied zwischen Menschen und Schimpansen seien. Viel Zeit des Forschungsaufenthaltes verwendeten die Sarasins deshalb auf das Sammeln und Vermessen menschlicher Schädel, die sie, zusammen mit anderem wissenschaftlichen und ethnografischen Material, nach Basel sandten. Ihre Forschung über die Weddas stand am Anfang der Volkskunde und der «Rassenforschung» in der Schweiz, deren Vertreter Leopold Rütimeyer und Otto Schlaginhaufen in engem Kontakt mit den Sarasins standen.

1893 durchstreiften die Sarasins das weitgehend unerforschte Hochland der von den Niederländern kontrollierten Insel Sulawesi. Ihre Expedition war ein logistisches und finanzielles Mammut-Unternehmen: 300 bewaffnete Lastenträger, Übersetzer, lokale Führer sowie wissenschaftliches Hilfspersonal und Köche waren Teil der Expedition. Die niederländische Kolonialadministration unterstützte die Basler, wo sie konnte. Eine Forschungsreise solchen Ausmasses überstieg jedoch die knappen Ressourcen der Niederländer und man erhoffte sich detaillierte Informationen über die in dem Gebiet lebenden Menschen. Schär zeigt überzeugend, dass die Ankunft der Sarasins eine Reihe von «Krisen» mit den Ureinwohnern im Hochland auslöste. Der Widerstand der Bevölkerung zu durchbrechen war dann auch die «hauptsächlichste und schwierigste Arbeit» (S. 127) auf den Reisen, wie Paul Sarasin verlauten liess. Der lokale Widerstand gegen das Eindringen der Sarasins ins Hochland veranlasste die Kolonialregierung schliesslich zu einer Militärintervention. Sie war Auftakt zu einem blutigen Eroberungskrieg, der drei Jahre andauern sollte und mit ungleichen Spiessen gefochten wurde. Daran wird deutlich, dass wissenschaftliche Erforschung und koloniale Eroberung aufs engste verzahnt sind.

Paul und Fritz Sarasin bedauerten stets das Vordringen der Zivilisation und das langsame Verschwinden der Urbevölkerung Sulawesis. Dass gerade sie mit ihren Expeditionen diesen Prozess beschleunigten, gehört zur Ironie dieser Geschichte. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz stiegen die Sarasins zu führenden Exponenten der Naturschutzbewegung auf. Mit der Gründung eines Nationalparks verbanden sie die Hoffnung, ursprüngliche Natur wiederherzustellen, die sie im Hochland von Celebes einst bewundert hatten.

Schärs detaillierte und behutsam argumentierende Fallstudie ist ein Glücksfall für das neue Feld der postkolonialen Wissensgeschichte der Schweiz. Der Autor zeigt überzeugend, dass die europäischen Kolonialreiche viel durchlässiger waren als bisher angenommen – ja, dass es sich lohnt, die koloniale Expansion nicht als nationales Projekt, sondern als das Projekt einer «transnational vernetzten bürgerlichen Elite» (S. 332) zu betrachten. Eine solche Betrachtungsweise öffnet neue Perspektiven auf spezifische Regionen Europas und ihre transimperialen, historischen Verflechtungen. Das Buch ist zudem ausgezeichnet strukturiert und flüssig geschrieben, sodass man ihm auch viele Leserinnen und Leser ausserhalb der historischen Zunft wünscht.

Zitierweise:
Lukas Meier: Rezension zu: Bernhard C. Schär, Tropenliebe. Schweizer Naturforscher und niederländischer Imperialismus in Südostasien um 1900, Frankfurt a. M.: Campus Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 1, 2017, S. 114-116.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 1, 2017, S. 114-116.

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